Aus der Geschichte

Das Schwingen

Schwingen – eine typische Schweizerart
Wenn ein Schwingklub oder ein Schwingerverband ein rundes Jubiläum feiern darf und zu diesem Anlass an die Klub- oder Verbandsmitglieder als Geschenk eine Jubiläumsschrift übergibt, in welcher die Geschichte der Organisation über all die Jahre festgehalten ist, darf in einer solchen Abhandlung ein Beitrag über die Entstehung des Schwingens nicht fehlen. Vor allem für unsere Jungschwinger und Aktiven von morgen sollen hier die Wurzeln des Schwingens in kurzen Zügen festgehalten sein. Es ist denn auch ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Geschichte von einst und jetzt der Nachwelt erhalten bleibt.

Ein uraltes Hirtenspiel
Wenn immer wir Umschau halten oder eindringen in die Geschichte der Gegenwart und der Vergangenheit, begegnen wir bei allen Völkern und zu allen Zeiten dem Trieb des Menschen zum Spiel und Wettkampf. Es mag denn nicht verwundern, dass uns E. Mehl in seinen wissenschaftlichen Forschungen mit dem Gedanken anregt, das mit der Hirtenkultur eng verflochtene Schwingen reiche wahrscheinlich bis in die Steinzeit zurück. Ähnlich äussert sich auch 1791 der Kenner schweizerischer Volkskunde J. Stalder, wenn er schreibt: „Da in Brienz, Obwalden, Entlebuch, Emmental und Saanen blüht noch eine Gymnastik, die in das entfernteste Dunkel der Vorzeit hinaufreicht.

Selbstverständlich gestalteten sich diese körperlichen Spiele und Wettkämpfe ganz verschiedenartig, je nach Kulturstufe des Menschen, nach dessen Milieu und nach etwa zu Gebote stehenden Mitteln. Das lehren uns schon die Beschreibungen der alten Griechen, Römer und Germanen. In unseren Hochtälern, wo jeder in erster Linie für seine Lebensbedürfnisse Selbstversorger sein musste, bewegten und hielten sich alle diese Spiele und Übungen auf relativ primitiver Stufe. Ein Bedürfnis nach unserem modernen Schulturnen machte sich bei unseren Älplern nicht geltend; denn eigentlich genügten schon das beschwerliche Alltagsleben, die reine Luft und die kräftige Milchnahrung vollends zur Förderung von Kraft und Ausdauer. Dabei erhielten sich einige Kraftspiele der Jugend und verwuchsen nach und nach innig mit dem ganzen Volksleben.

Vom Ringkampf zum Schwingen
Das Schwingen, diese spezifisch schweizerische Art des friedlichen Zweikampfes, entstand wahrscheinlich aus dem ursprünglich freien Ringkampf durch Regelung der Griffe. Der Ringkampf wurde bekanntlich sehr verschieden geführt. Die Griechen rangen ohne Bekleidung und mit eingeöltem Körper; auch der turnerische Ringkampf gestattet keine Griffe an den Kleidern. Dagegen waren früher beim Ringkampf der Älpler die Kleidergriffe erlaubt. So sollen sich die Appenzeller beim „Hosenlupf“ erst an den Hosengurten, die Entlebucher beim „Rutzen“ (Ringen) an den Westen gefasst haben. Daneben waren die Griffe frei. Beim Schwingen aber waren bestimmte Griffe beim Beginn des Kampfes vorgeschrieben, und zwar an der Lendengurte (Hosenbändel) und den Hosenstössen, wobei die Hosen „bis fast zur Hüfte“ aufgekrempelt wurden. Gelegentlich verwendete man auch Lederriemen oder Stricke, auch Nastücher, die um Lende und Oberschenkel gelegt wurden, und später Schwinghosen, kurze Überhosen aus starkem Leinen. Wann diese zuerst eingeführt wurden, ist nicht bekannt, jedenfalls benutzte man sie schon 1794 am Schwingfest in Bern.
Wenn wir das oben aufgeführte feste Griffefassen einer kurzen Betrachtung unterziehen, so drängt uns diese Tatsache unwillkürlich die logische Folgerung der Namensgebung des Spieles selbst auf. Ursprünglich war sicher das Griffefassen dazu erdacht, beiden Wettkämpfern die genau gleiche Ausgangsstellung zu gewährleisten, also einem jeden zum vornherein einen Vorteil zum Kampfbeginn zu verunmöglichen. Durch diese Griffe wurde zugleich auch die Voraussetzung und die Möglichkeit geschaffen, dass der behendere oder stärkere Partner den Gegner an- und hochzuziehen und ihn griffest vor dem Wurfe im Kreise zu schwingen vermochte. Darum gehen wir kaum fehl, wenn angenommen wird, dass gerade diese Regeln der Griffe unserem Kampfspiel den Namen „Schwingen“ gegeben haben.

Der Händedruck ist so alt wie das Schwingen
Noch etwas anderes hat sich aus der geschichtlich bekannten Urzeit des Schwingens in unveränderter Form in die Gegenwart herübergerettet; es ist dies der Händedruck der beiden Gegner vor und nach dem Kampfe. So reichte sich und so reicht sich auch heute noch das Schwingerpaar vor Kampfbeginn die Rechte zum Gelöbnis, dass der Zweikampf ein freundschaftliches Sichmessen an Kraft, Gewandtheit und technischem Können sein soll. Nach der Austragung desselben wird das gleiche wiederum getan, zum Zeichen dafür, dass der Unterlegene seinem Bezwinger die Achtung des Siegers zollt, sich den Entscheiden des Kampfgerichtes zu unterziehen bereit ist und dass beide Gegner nach wie vor gewillt sind, treue Schwingerkameradschaft hochzuhalten.

Schwingen geht auf das 10. Jahrhundert zurück!
Wie lange besteht überhaupt das Schwingen in unserem Lande? Fehlen auch genaue Berichte, so darf doch aus all dem Bekannten geschlossen werden, dass das Schwingen im Emmental, Oberland und in Obwalden wie auch im Kanton Schwyz entstand, sich entwickelte und bodenständig blieb. Verschiedenen Chroniken ist zu entnehmen, dass der Hosenlupf im Appenzell schon im 10. Jahrhundert üblich gewesen sein soll. Nach Unterwaldner Urkunden kannte man in diesem Kanton das Schwingen schon anno 1670, und aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts sprechen viele Berichte für das Bestehen des Schwingens im Bernervolk. Ja, schon aus dem 15. Jahrhundert gibt eine alte zeichnerische Darstellung bei Gonse, „L’Art gotique“, Aufschluss. Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, kann urkundlich einwandfrei bewiesen werden, dass die uralte Sennengesellschaft Arth im Jahre 1601 einen Betrag von 8.9 Gulden für Steinstossen, Schwingen, Laufen und Springen auf der Rigi verausgabte.

Vom Dorffest zum schwingerischen Grossanlass
Die einfachsten Festchen waren die Dorfschwinget, die regelmässig an gewissen Tagen oder bei gewissen Anlässen (Kirchweih oder „Chilbi“) veranstaltet wurden. Dabei sammelten sich die „Buben“ der Ortschaft und allenfalls der Nachbargemeinden und zogen von einer Dorfmusik und den Zuschauern begleitet auf den Schwingplatz, um ihre Kraft und Geschicklichkeit zu messen. All diese Schwingeranlässe bewegten sich in denkbar einfachstem Rahmen ohne besondere Vorbereitungen und dienten mehr den Schwingern der nächsten Umgebung. Eine Stufe höher standen dann jene Feste, an denen sich Talschaften gegenseitig messen wollten, woran sich eine gewisse Elite aus den besten Kämpfern beteiligte. Solche Schwingfeste wurden dann regelrecht organisiert, ein eigenes Kampfgericht bestellt und dabei für ansehnliche Preise gesorgt. Bekannt sind derlei Feste auf dem Brünig, in Meiringen, Brienz, Entlebuch, Kröschenbrunnen und im Emmental an verschiedenen Orten. Die grössten Feste dieser Art, gewissermassen Zentralfeste, spielten sich sodann fast alljährlich zu Unspunnen bei Interlaken und auf der kleinen oder grossen Schanze in Bern ab. Namentlich waren es die Alphirtenfeste in Bern, die sogenannten Schanzenschwinget, wo sich die Wägsten aus dem Emmental, Oberland, Entlebuch und aus Obwalden massen. Sie gestalteten sich denn auch zu den beliebtesten Volksfesten Berns und wiederholten sich deshalb alljährlich am Ostermontag. Wie weit sie zurückdatieren, ist nicht bestimmt zu sagen, aber jedenfalls waren sie schon in der Mitte des 18. Jahrhunderts üblich und verblieben bis über die Mitte des 19. Jahrhunderts hinaus, und es scheint, dass die Bezeichnung „Schwingerkönig“ für den ersten im Rang just bei diesen Festen in Anwendung kam.